Die Arbeitswelt im Bereich Legal Tech hat dem klassischen Jurastudium in vielerlei Hinsicht den Rang abgelaufen und ist ihm deutlich vorausgegangen. Trotz dieses Vorsprungs wird dem Thema Legal Tech an zahlreichen Universitäten nach wie vor nicht die angemessene Aufmerksamkeit zuteil. Dabei eröffnet die sachgerechte Nutzung innovativer Legal-Tech-Anwendungen den Studierenden ein immenses Potenzial, den oftmals umfangreichen und komplexen Lernstoff nicht nur effizienter aufzubereiten, sondern auch nachhaltiger zu wiederholen. Durch den gezielten Einsatz dieser Technologien werden Studierende folglich nicht nur optimal auf die Anforderungen des Staatsexamens vorbereitet, sondern erhalten darüber hinaus wertvolle Kompetenzen für die spätere berufliche Praxis in der Rechtsberatung und Rechtspflege.
Wandel im Arbeitsmarkt
Das Jurastudium bedarf einer zeitgemäßen Aktualisierung, um den Herausforderungen und Möglichkeiten der digitalen Welt gerecht zu werden. Der tiefgreifende Wandel des Rechtsmarktes hat die Anforderungen an Juristinnen und Juristen nachhaltig verändert. Zwar wird nicht erwartet, dass sie programmieren können; gleichwohl ist es von großem Vorteil, wenn sie neben fundiertem juristischem Fachwissen auch ein grundlegendes technisches Verständnis sowie eine interdisziplinäre Denkweise mitbringen. Ein erfolgreicher Jurist der Zukunft muss befähigt sein, Recht und Technologie intelligent und praxisorientiert miteinander zu verknüpfen. Gerade diese Kompetenzen sind auf dem Arbeitsmarkt stark gefragt und eröffnen vielfältige, lukrative Karriereperspektiven. Für Jurastudierende kann ein fundiertes Wissen im Bereich Legal Tech somit den entscheidenden Impuls für eine vielversprechende berufliche Laufbahn bedeuten.
Angebote an juristischen Fakultäten
Juristische Fakultäten orientieren sich häufig an bewährten Lehrkonzepten, wodurch die Vermittlung von Legal-Tech-Kompetenzen bislang häufig vernachlässigt wird. Studierende kommen daher meist nur über freiwillige Zusatzangebote mit Legal Tech in Berührung. Positiv hervorzuheben sind jedoch die juristischen Fakultäten in München und Passau, die bereits erfolgreiche Ansätze zur Integration von Legal Tech in das reguläre Jurastudium verfolgen.
KI-Tutor an der LMU München
Die Juristische Fakultät der LMU München setzt seit dem Sommersemester 2025 in ausgewählten Lehrveranstaltungen das KI-Assistenzsystem OneTutor ein. Entwickelt wurde dieses von Studierenden der Technischen Universität München (TUM) in Kooperation mit dem Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt).
OneTutor bietet den Studierenden KI-generierte, von den Lehrenden kuratierte Quizformate sowie einen Chatbot, der mithilfe eines RAG-Systems (Retrieval-Augmented Generation) auf die spezifischen Lehrmaterialien der jeweiligen Veranstaltung zugreift. Die Antworten des Chatbots sind dadurch passgenau auf den jeweiligen Kursinhalt abgestimmt. Ergänzend werden die jeweiligen Fundstellen aus den Materialien angegeben, was die Nachvollziehbarkeit und Vertrauenswürdigkeit der Antworten erheblich stärkt. Da das System keine halluzinierten Inhalte erzeugt, können sich die Studierenden uneingeschränkt auf die Antworten verlassen.
Dieser entscheidende Vorteil zeigt sich exemplarisch am sogenannten „Rose-Rosahl-Fall“: Fragt man sowohl ChatGPT als auch den KI-Tutor nach Hintergrundinformationen zu diesem strafrechtlichen Klassiker, schildert ChatGPT irrtümlich einen anderen Fall mit abweichender Problematik. Der Tutor hingegen liefert korrekte Angaben zum tatsächlichen „Rose-Rosahl-Fall“, der sich mit den Auswirkungen eines error in persona auf den Vorsatz sowie mit der Frage der Strafbarkeit des Anstifters befasst.
Über diesen inhaltlichen Mehrwert hinaus profitieren auch die Lehrenden: Durch die statistische Auswertung der anonymisierten Nutzerfragen und deren Häufigkeit erhalten sie wertvolle Einblicke in bestehende Verständnisprobleme. Dies ermöglicht eine gezielte Anpassung und Optimierung der Lehrveranstaltungen – ein besonderer Gewinn für große Fakultäten, an denen individualisierte Lehre sonst nur schwer umsetzbar ist.
Lehrkonzept an der Universität Passau
Auch an der Juristischen Fakultät der Universität Passau gewinnt der Einsatz von Künstlicher Intelligenz zunehmend an Bedeutung. Rafael Harnos entwickelt in diesem Rahmen ein innovatives Lehrkonzept im Gesellschaftsrecht, das Studierende zu einem kritischen, zugleich aber auch kompetenten Umgang mit juristischen KI-Systemen befähigen soll. Ziel ist es, die technischen Möglichkeiten nicht nur verständlich zu vermitteln, sondern die Studierenden auch dazu anzuleiten, KI-generierte Inhalte differenziert zu analysieren und rechtsdogmatisch zu überprüfen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie juristische KI-Tools sinnvoll in Studium und Praxis eingesetzt werden können: Welche Prompting-Strategien führen zu verlässlichen Ergebnissen? Wo liegen die Grenzen solcher Systeme? Und wie funktioniert ihre technische Logik im Grundsatz? Durch diese praxisorientierte Auseinandersetzung werden sowohl das rechtliche Urteilsvermögen als auch die digitale Medienkompetenz der Studierenden gezielt gestärkt – ein zukunftsweisender Beitrag zur juristischen Ausbildung im digitalen Zeitalter.
Weitere Angebote
Studierende haben darüber hinaus die Möglichkeit, sich bereits frühzeitig durch freiwillige Zusatzangebote ein solides Fundament im Bereich Legal Tech zu erarbeiten.
An der LMU wird hierzu das Zertifikatsstudium „Informationsrecht & Legal Tech“ angeboten. Innerhalb von vier Semestern erwerben die Teilnehmenden grundlegende IT-Kenntnisse, um juristische Inhalte digital anzuwenden und rechtliche Fragestellungen im Kontext neuer Technologien fundiert beurteilen zu können. Ergänzend dazu können Studierende regelmäßig an Fachvorträgen teilnehmen, sich in studentischen Initiativen wie MLTech engagieren oder ihre Kompetenzen im Bereich Legal Tech durch Praktika in spezialisierten Kanzleien oder Legal-Tech-Start-ups gezielt vertiefen.
Fazit
Legal Tech ist aus der modernen juristischen Ausbildung nicht mehr wegzudenken – und sollte daher künftig fester Bestandteil des Jurastudiums sein. Nur wer den souveränen Umgang mit digitalen Tools beherrscht, wird den sich wandelnden Anforderungen des Rechtsmarkts dauerhaft gerecht werden können. Derzeit beruhen die meisten Angebote jedoch noch weitgehend auf freiwilligem Engagement der Studierenden. Es wäre daher wünschenswert, dass weitere juristische Fakultäten dem Beispiel aus München und Passau folgen und Legal Tech systematisch in die juristische Ausbildung integrieren.
Über die Autorin
Lea Grünwald (lea.gruenwald@ml-tech.org) ist ehrenamtlich als Co-Head of Blog
bei MLTech tätig und studiert Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Über die Redakteure
Luis Hettrich (luis.hettrich@ml-tech.org) ist ehrenamtlich als Chief Editor bei MLTech tätig und studiert Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Albert Hans Möller (albert.moeller@ml-tech.org) ist ehrenamtlich als Vorstand bei MLTech tätig und studiert Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
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