Bericht aus Fernost #2: Elektronische Beweismittel und die chinesische Justiz-Blockchain

Von

Enci Huang

Blog

Unser ehemaliges Vorstandsmitglied Enci Huang hat diesen Sommer ein Auslandssemester an der juristischen Fakultät der Peking University in China absolviert und erlebte die digitale Transformation des chinesischen Rechtswesens aus nächster Nähe. In dieser Blogreihe berichtet er von seinen Eindrücken und Erfahrungen rund um Recht und Digitalisierung in Fernost.

Mit der rasant voranschreitenden Digitalisierung, sowohl im privaten Leben als auch im geschäftlichen Verkehr, haben elektronische Beweismittel eine zunehmende Bedeutung in zivilrechtlichen Streitigkeiten in China. Inzwischen stützen sich die dortigen Prozessparteien routinemäßig auf WeChat-Daten, E-Commerce Belege, oder digitale Verträge, um ihre Ansprüche vor Gericht durchzusetzen. 

Seit 2012 erkennt das chinesische Recht „elektronische Daten“ ausdrücklich als eigene Beweiskategorie an. Zwischen 2019 und 2023 hat der Oberste Volksgerichtshof (Supreme People’s Court) zudem zahlreiche Spezialvorschriften erlassen, die den Umgang mit digitalen Beweisen präzisieren sollen. 

In diesem Beitrag möchte ich einen Einblick geben, wie das chinesische Recht elektronische Beweismittel handhabt und welche Rolle Technologien wie Blockchain oder Zeitstempel dabei spielen.

I. Rechtliche Rahmenbedingungen

Seit der Reform des chinesischen Zivilverfahrensgesetzes[1] im Jahr 2012 gelten elektronische Daten offiziell als eigenständige Beweiskategorie (Art. 63 Abs. 1 Nr. 5 ZVG). Schon zuvor spielten elektronische Inhalte, wie etwa E-Mails oder Textnachrichten, in der Praxis eine Rolle, doch ihre rechtliche Einordnung blieb lange unklar.

Die eigentliche Konsolidierung erfolgte erst 2019 mit der umfassenden Reform der Beweisregeln des Obersten Volksgerichts[2] (Civil Evidence Rules). Dort werden in Art. 14 verschiedener Formen elektronischer Beweismittel aufgezählt:

Artikel 14 Civil Evidence Rules (2019)

Elektronische Daten umfassen die folgenden Informationen und elektronischen Dateien:

  1. Informationen, die auf Internetplattformen wie Webseiten, Blogs, Mikroblogs usw. veröffentlicht werden;
  2. Kommunikationsinformationen aus Internetanwendungsdiensten wie Mobiltelefon-SMS, E-Mails, Instant-Messaging und Kommunikationsgruppen;
  3. Informationen wie Benutzerregistrierungsdaten, Identitätsauthentifizierungsinformationen, elektronische Transaktionsaufzeichnungen, Kommunikationsprotokolle und Login-Protokolle;
  4. Elektronische Dateien wie Dokumente, Bilder, Audio- und Videodateien, digitale Zertifikate und Computerprogramme;
  5. Sonstige in digitaler Form gespeicherte, verarbeitete oder übertragene Informationen, die geeignet sind, die Tatsachen eines Falles zu beweisen.

Prozessual sieht das chinesische Recht strenge Vorgaben hinsichtlich der Einreichung von elektronischen Beweismitteln bei Gericht vor. Maßgeblich sind dabei Artikel 15 und 23 der Beweisregeln. Nach Artikel 15 muss die Partei, die elektronische Daten einreicht, grundsätzlich den ursprünglichen Speicherträger vorlegen. Eine Kopie oder ein Ausdruck kann nur dann als gleichwertig angesehen werden, wenn sie nachweislich direkt aus dem Original stammt. Zudem ist das Gericht bei eigener Beweiserhebung nach Artikel 23 verpflichtet, zunächst den Originaldatenträgers anzufordern. Ist dieser nicht verfügbar, darf eine Kopie nur verwendet werden, wenn Quelle und Erstellungsweise detailliert dokumentiert sind.

Besonders ausführlich hat der Oberste Volksgerichtshof die Kriterien zur richterlichen Würdigung elektronischer Beweise in den Artikeln 93 und 94 der Beweisregeln festgelegt.

Artikel 93 definiert, welche Faktoren Gerichte bei der Beurteilung der Authentizität elektronischer Beweise berücksichtigen müssen. Dort heißt es:

Artikel 93 Civil Evidence Rules (2019)

Das Volksgericht soll bei der Beurteilung der Authentizität elektronischer Daten die folgenden Faktoren umfassend berücksichtigen:

  1. Ob die Hardware- und Softwareumgebung des Computersystems, auf dem die elektronischen Daten erzeugt, gespeichert und übertragen werden, vollständig und zuverlässig ist;
  2. Ob die Hardware- und Softwareumgebung des Computersystems, auf dem die elektronischen Daten erzeugt, gespeichert und übertragen werden, ordnungsgemäß funktioniert, und falls nicht, ob der fehlerhafte Zustand einen Einfluss auf die Erzeugung, Speicherung oder Übertragung der elektronischen Daten hat;
  3. Ob das Computersystem, auf dem die elektronischen Daten erzeugt, gespeichert und übertragen werden, wirksame Überwachungs- und Prüfmechanismen zur Fehlervermeidung besitzt;
  4. Ob die elektronischen Daten vollständig gespeichert, übertragen und extrahiert wurden und ob die Methoden der Speicherung, Übertragung und Extraktion zuverlässig sind;
  5. Ob die elektronischen Daten im gewöhnlichen Geschäfts- oder Verkehrsgang erzeugt und gespeichert wurden;
  6. Ob die Personen oder Organisationen, die die elektronischen Daten speichern, übertragen oder extrahieren, geeignet und ordnungsgemäß sind;
  7. Andere Faktoren, die die Integrität und Zuverlässigkeit der elektronischen Daten beeinflussen können.

Hält das Volksgericht es für erforderlich, so kann es zur Prüfung und Beurteilung der Echtheit elektronischer Daten Methoden wie Sachverständigengutachten oder Ortsbesichtigungen anwenden.

Artikel 94 geht noch einen Schritt weiter und etabliert widerlegbare Vermutungen der Echtheit. 

Artikel 94 Civil Evidence Rules (2019)

Liegt einer der folgenden Umstände vor, kann das Volksgericht die Echtheit elektronischer Daten anerkennen, es sei denn, es liegt hinreichendes Gegenbeweismaterial vor, das diese Annahme widerlegt:

  1. Die elektronischen Daten wurden von einer Partei eingereicht oder aufbewahrt, obwohl sie zu ihrem Nachteil sind;
  2. Die elektronischen Daten wurden von einer neutralen Drittplattform, die die Daten aufzeichnet und speichert, bereitgestellt oder bestätigt;
  3. Die elektronischen Daten wurden im normalen Geschäftsverkehr erzeugt;
  4. Die elektronischen Daten werden archivmäßig verwaltet und aufbewahrt;
  5. Die elektronischen Daten wurden in der von den Parteien vereinbarten Weise gespeichert, übertragen oder extrahiert.

Sind die Inhalte der elektronischen Daten notariell beglaubigt, so soll das Volksgericht ihre Echtheit anerkennen, es sei denn, es liegt entgegenstehendes Beweismaterial vor, das ausreicht, diese Annahme zu widerlegen.

II. Praktische Beweissicherung

Grundsätzlich erscheint es sinnvoll, von Prozessparteien die Vorlage des Originaldatenträgers zu verlangen. Denn so lässt sich theoretisch sicherstellen, dass elektronische Beweismittel unverändert und authentisch sind.[3]

In der digitalen Praxis erweist sich diese Vorgabe jedoch als kaum umsetzbar. Viele Daten werden heute auf Cloud-Servern oder Drittplattformen gespeichert, etwa bei WeChat, Taobao oder Alipay. Die betroffenen Parteien haben auf diese Systeme keinen direkten Zugriff. Um ihre Ansprüche zu belegen, müssen sie daher häufig auf Screenshots oder Ausdrucke zurückgreifen – Darstellungen, die letztlich nur Kopien von Kopien der eigentlichen Daten sind. Eine technische Überprüfung der Server wäre theoretisch denkbar, ist in der Praxis jedoch aufwendig, teuer und meist unverhältnismäßig. 

Trotzdem gilt nach Artikel 15 der Beweisregeln des Obersten Volksgerichtshofs weiterhin der Grundsatz, dass die beweispflichtige Partei den Originaldatenträger vorlegen muss. Kann sie dies nicht, so muss eine eingereichte Kopie mit dem Originaldatensatz abgeglichen und deren Übereinstimmung überprüft werden.

Wie dieser Grundsatz in der Praxis von chinesischen Zivilgerichten angewandt wird, zeigt anschaulich ein Urteil des Zweiten Mittleren Volksgericht von Shanghai:[4]

„Da die von Dong Shizhen und Zhu Guohua vorgelegten WeChat-Chatnachrichten lediglich Bildschirmfotos in Papierform (Screenshots) sind, die nicht mit dem Originaldatensatz abgeglichen werden können, und da die Gegenparteien Xu Debiao und Zhang Yulan deren Echtheit nicht anerkannt haben, kann die Authentizität dieser Beweise nicht festgestellt werden; sie besitzen daher keine Beweiskraft.“

Um trotzdem den Beweis mit elektronischen Daten anzutreten, wenn der Originaldatenträger nicht verfügbar ist, haben sich in der Praxis  hauptsächlich drei Methoden der digitalen Beweissicherung in China etabliert: Die notarielle Beglaubigung, Zeitstempel und Blockchain.

a)        Notarielle Beglaubigung

Eine der bis heute wichtigsten Methoden zur Sicherung digitaler Beweismittel in China ist die notarielle Beglaubigung. Sie genießt eine besonders hohe Beweiskraft, da notariell beurkundete Beweise nach Art. 72 ZVG eine gesetzliche Vermutung der Echtheit genießen. Gerichte akzeptieren solche Beweise in der Regel ohne weitere Prüfung, und es ist für die Gegenseite äußerst schwierig, diese Vermutung zu widerlegen.[5]

Der praktische Ablauf ist meist standardisiert. Die betroffene Partei beantragt beim Notariat die Sicherung digitaler Inhalte, etwa einer Webseite, eines Social-Media-Posts oder einer Datei. Der Notar ruft diese Inhalte in seinem Büro auf, beispielsweise über den eigenen Computer, und dokumentiert deren Erscheinungsbild und Zeitpunkt. Gerade bei Marken- oder Urheberrechtsverletzungen spielt diese Methode eine große Rolle. Unternehmen lassen mutmaßlich rechtsverletzende Webseiten oder Online-Angebote regelmäßig notariell sichern, um sie später vor Gericht als Beweis vorzulegen.[6] Da bei öffentlich zugänglichen Inhalten eine Manipulation während der Beurkundung praktisch ausgeschlossen ist, messen die Gerichte solchen Nachweisen hohe Beweiskraft zu.

Anders sieht es bei privaten digitalen Inhalten aus, etwa bei WeChat-Nachrichten. Hier führt der Notar die Beweissicherung auf dem Gerät der Partei durch: Die Partei öffnet den Chat, der Notar schaut zu, macht Screenshots und bestätigt, dass die dargestellten Inhalte mit den gespeicherten übereinstimmen.[7] Doch diese Bestätigung gilt nur für den Zeitpunkt der Einsichtnahme. Ob der Chatverlauf zuvor manipuliert oder verändert wurde, kann der Notar nicht feststellen. Wird dies von der Gegenseite behauptet, verliert der Nachweis stark an Beweiskraft. Regelungen des Obersten Volksgerichts versuchen, diesem Problem teilweise zu begegnen. So gilt nach Art. 13 der Vorschriften für Online-Verfahren[8] eine Vermutung der Echtheit, wenn der Entstehungsprozess elektronischer Materialien notariell begleitet wurde. 

Neben diesen inhaltlichen Grenzen ist die notarielle Beweissicherung auch praktisch aufwendig und teuer. Sie erfordert einen Termin, den persönlichen Besuch beim Notariat und die Zahlung von Gebühren, die je nach Umfang mehrere Hundert Yuan betragen können. Für flüchtige Beweise, wie gelöschte Posts oder kurzfristige Nachrichten, ist das Verfahren oft zu langsam, da die Inhalte schon verschwunden sein können, bevor der Notar sie aufrufen kann.

b)       Zeitstempel

Dagegen haben sich elektronische Zeitstempel als schnelle und kostengünstige Alternative etabliert, um digitale Inhalte zu sichern. Ein Zeitstempel bestätigt, dass eine bestimmte Datei zu einem konkreten Zeitpunkt existierte und seither nicht verändert wurde. Anbieter wie die UniTrust Time Stamp Authority ermöglichen eine solche Beweissicherung rund um die Uhr, oft mit nur wenigen Klicks und zu geringen Kosten (ca. 10 RMB pro Stempel, umgerechnet 1,20 €).[9]

Technisch erstellt die Zeitstempelstelle einen sogenannten Hash-Wert, also einen digitalen Fingerabdruck der Datei. Dieser wird verschlüsselt und mit einem Zertifikat versehen, das Datum, Uhrzeit und Integrität der Datei dokumentiert. Selbst kleinste Veränderungen an der Datei würden den Hash-Wert verändern, was Manipulationen sofort sichtbar macht.

In Artikel 11 Abs. 2 der Vorschriften für Internetgerichte[10] heißt es:

Sind die von einer Partei eingereichten elektronischen Daten durch elektronische Signatur, vertrauenswürdigen Zeitstempel, Hash-Prüfung, Blockchain oder andere technische Verfahren zur Beweissicherung, Fixierung oder Manipulationsprävention oder über eine zertifizierte elektronische Beweisplattform authentifiziert und können sie dadurch ihre Echtheit nachweisen, soll das Internetgericht ihre Echtheit anerkennen.

Obwohl diese Regelung ursprünglich nur für die drei Internetgerichte in Beijing, Hangzhou und Guangzhou gilt, wenden auch herkömmliche Gerichte sie in der Praxis an.[11] Der Beweiswert von Zeitstempeln bleibt jedoch ebenfalls begrenzt. Sie beweisen lediglich, dass eine Datei zu einem bestimmten Zeitpunkt in unveränderter Form existierte, nicht dass ihr Inhalt auch wahr ist. So kann eine Partei theoretisch ein gefälschtes Dokument erstellen und es unmittelbar danach mit einem gültigen Zeitstempel versehen. Da der Wortlaut der Vorschrift von „Anerkennung der Echtheit“ spricht, verwechseln manche Gerichte in China die Integrität des Beweismittels mit der faktischen Beweiskraft und neigen dazu, Zeitstempeln zu viel Gewicht beizumessen, weil sie auf einer „autoritative Zeitquelle“ beruhen.[12]

c)        Blockchain

In den vergangenen Jahren hat die Blockchain-Technologie in der chinesischen Justiz rasant an Bedeutung gewonnen. Als fälschungssicheres und dezentrales System bietet sie neue Möglichkeiten, die Integrität und Existenz elektronischer Daten nachzuweisen. Bis Ende 2022 waren über Chinas „Judicial Blockchain“-Infrastruktur bereits mehr als 2,8 Milliarden elektronische Beweismittel registriert.[13]

Die Blockchain ist im Kern ein dezentrales digitales Register, das Datenblöcke chronologisch miteinander verknüpft. Jeder Block enthält einen kryptografischen Fingerabdruck (Hash) des vorherigen Blocks, einen Zeitstempel und die gespeicherten Daten. Nachträgliche Änderungen wären sofort erkennbar, da sie die gesamte Kette verändern würden. Diese technische Struktur macht Blockchain ideal für die Beweissicherung. Denn ein einmal gespeicherter Datensatz bleibt nachweislich unverändert.

Chinas drei Internetgerichte in Hangzhou, Beijing und Guangzhou haben dafür eigene gerichtliche Blockchain-Systeme aufgebaut. Parteien können dort elektronische Daten hochladen, die anschließend dauerhaft und unveränderbar gespeichert werden. Der Durchbruch für die Blockchain kam 2018: Das Internetgericht Hangzhou erkannte in einem vielbeachteten Urheberrechtsfall (Hangzhou Huatai Yimei Culture Media Co., Ltd. v. Shenzhen Daotong Technology Development Co., Ltd.) erstmals Blockchain-basierte Beweise offiziell an.[14] Der Kläger hatte eine Website mit mutmaßlich rechtsverletzenden Inhalten über eine Blockchain archiviert und das Gericht akzeptierte diesen Nachweis als Beweis der Veröffentlichung. Seither hat die Blockchain-Sicherung in China auch Resonanz bei anderen Gerichten gefunden. 

In Artikel 16 der Vorschriften über Online-Verfahren heißt es seither:

Wenn die von einer Partei als Beweismittel eingereichten elektronischen Daten mithilfe der Blockchain-Technologie gespeichert wurden und eine technische Überprüfung ihre Übereinstimmung bestätigt, kann das Volksgericht annehmen, dass diese elektronischen Daten nach der Speicherung auf der Blockchain nicht manipuliert wurden, es sei denn, es liegen ausreichende Gegenbeweise vor, die diese Annahme widerlegen.

Im Vergleich zum vorgenannten Artikel 11 ist diese Vorschrift weitaus differenzierter. Denn die Blockchain garantiert, wie die vorhergenannten Methoden, nur dass die Datei nach dem Upload nicht verändert wurde, nicht jedoch die Wahrheit des Inhalts. So wurde auch nach der Hangzhou-Entscheidung in der öffentlichen Debatte teilweise Kritik an dem Urteil geäußert und darauf hingewiesen, dass praktisch jeder eine gefälschte Webseite erstellen, sie anschließend über einen Blockchain-Dienst hochladen und so den manipulierten Inhalt mit einem Anschein von Glaubwürdigkeit versehen könne. [15] In solchen Fällen, so der Vorwurf, könne die Blockchain sogar zum Schutz gefälschter Beweise missbraucht werden. Für eine wirklich verlässliche Beweissicherung müsste der gesamte Erstellungsprozess nativ auf der Blockchain stattfinden, also von Anfang an dokumentiert werden. 

Trotz dieser offenen Probleme markiert der Einsatz von Blockchain in der chinesischen Justiz einen bemerkenswerten Schritt hin zu einer technologisch gestützten Beweisführung. Gleichwohl zeigt sich, dass auch die modernste Technologie nicht die Wahrheit selbst abspeichern kann. Die Blockchain beweist die Unverändertheit, nicht die Richtigkeit eines Inhalts. Sie dokumentiert Daten, aber keine Fakten. Das Vertrauen in technische Integrität darf daher die kritische juristische Bewertung nicht ersetzen.

III. Fazit

Die technische Absicherung elektronischer Beweise kann durch manipulationssichere Dokumentationsverfahren oder digitale Siegel wertvolle zusätzliche Sicherheit schaffen. Gleichzeitig sollte aber vermieden werden, dass technische Anforderungen zu neuen Formalhürden werden, die den Beweisantritt zusätzlich erschweren. Das chinesische Recht erscheint hierbei als stark formalistisch mit seinen strengen Vorgaben an die richterliche Beweiswürdigung. Hierbei kann der Anspruch auf formale Sicherheit paradoxerweise dazu führen, dass  „echte“ Beweise wegen fehlender technischer Formalien nicht anerkannt werden oder gefälschte Beweise aufgrund technischer Sicherung als echt angenommen werden.

Vor dem Hintergrund der laufenden Digitalisierungsbemühungen der deutschen Justiz lohnt es sich aber dennoch einen Blick nach Fernost zu werfen, um sowohl Best Practices als auch mögliche Fallstricke der Digitalisierung der chinesischen Ziviljustiz zu erkennen. 

Über den Autor:
Enci Huang (enci.huang@ml-tech.org) war ehrenamtlich Vorstandsvorsitzender bei MLTech und studiert Rechtswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 

Über den Redakteur:
Luis Hettrich
 (luis.hettrich@ml-tech.org) ist ehrenamtlich als Vorstand bei MLTech tätig und studiert Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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[1] 民事诉讼法

[2] 最高人民法院关于民事诉讼证据的若干规定

[3] Es wird auch argumentiert, dass sich die Glaubwürdigkeit elektronischer Beweise nicht allein aus der Unversehrtheit des Speichermediums ableiten lässt, da Daten auch remote manipuliert werden können; Xie Dengke, Die technische Echtheitsprüfung elektronischer Daten (电子数据的技术性鉴真), in: Juristische Forschung (法学研究), 2022 (2), 209–224.

[4] Zweites Mittleres Volksgericht Shanghai (上海市第二中级人民法院), Dong Shizhen u. a. v. Xu Debiao u. a. (Berufungsverfahren über Streitigkeit betreffend Schuldbeitritt) [董士珍等与徐德标等债务加入纠纷上诉案], (2021) Hu 02 Min Zhong No. 5897 [(2021)沪02民终5897号], Urteil vom 27.10.2021.

[5] Sylvia Polydor, Blockchain Evidence in Court Proceedings in China – A Comparative Study of Admissible Evidence in the Digital Age, in: Stanford Journal of Blockchain Law & Policy, Vol. 2020, online unter: https://stanford-jblp.pubpub.org/pub/blockchain-evidence-courts-china.

[6] Sun Menglong, Online-Nachweis elektronischer Daten aus der Perspektive der gerichtlichen Blockchain (司法区块链视域下电子数据的线上化证明), in: Journal of Henan University of Economics and Law (河南财经政法大学学报), 2022 (2), 138–150.

[7] Luo Tianxuan, Blockchain-Beweissicherung aus der Perspektive des zivilprozessualen Beweisrechts (民事证据证明视野下的区块链存证), in: Rechtswissenschaft (法律科学), 2020 (6), 65–80.

[8] 人民法院在线诉讼规则

[9] Zhang Chenyang, Zhu Mengxuan, How to Collect Evidence from Internet and Social Media – Guide to China’s Civil Evidence Rules, in: China Justice Observer, 12.07.2020, online unter: https://www.chinajusticeobserver.com/a/how-to-collect-evidence-from-internet-and-social-media

[10] 最高人民法院关于互联网法院审理案件若干问题的规定

[11] Siehe: Volksgericht des Stadtbezirks Putuo Shanghai (上海市普陀区人民法院), Shanghai Qingxiang Internet Technology Co., Ltd. v. Song u. a. (Kaufvertragsstreit) [上海轻享互联网科技有限公司诉宋某等买卖合同纠纷案], (2020) Hu 0107 Min Chu No. 3976 [(2020)沪0107民初3976号], Urteil vom 28.06.2020; Beijing Gericht für Geistiges Eigentum (北京知识产权法院), Beijing Zhongguang Yinshi Culture Co., Ltd. v. Shanghai Yingmai Culture Communication Co., Ltd. (Urheberrechtsstreit über das Recht der Informationsnetzwerkverbreitung von Werken) [北京中广音视文化有限公司与上海映脉文化传播有限公司侵害作品信息网络传播权纠纷上诉案], (2019) Jing 73 Min Zhong No. 3146 [(2019)京73民终3146号], Urteil vom 24.12.2019; Höheres Volksgericht der Provinz Sichuan (四川省高级人民法院), Suzhou Company B; Chengdu Company; Zhang v. — (Urheberrechtsstreit über Computer-Software) [宿州市某乙有限公司; 成都某有限公司; 张某侵害计算机软件著作权纠纷二审民事判决书], Zivilurteil, (2025) Chuan Zhi Min Zhong No. 1 [(2025)川知民终1号], Urteil vom 27.02.2025.

[12] Lou Bixian, Überprüfung und Regulierung der Zeitstempel-Zertifizierung in Immaterialgüterrechtsstreitigkeiten – Eine Analyse von 749 gerichtlichen Entscheidungen der Oberen Volksgerichte landesweit (知识产权诉讼中时间戳认证的检讨与规范——基于全国高级人民法院749份裁判文书的分析), in: Geistiges Eigentum (知识产权) 2020 (8), 77–90.

[13] China News Service (中国新闻网), Förderung der gerichtlichen Anwendung der Blockchain-Technologie – Über 2,8 Milliarden gespeicherte Beweisdatensätze auf der Blockchain der chinesischen Gerichte (推进区块链技术司法应用 中国法院上链存证逾28亿条), 29.12.2022, online unter: https://baijiahao.baidu.com/s?id=1753527749380665335.

[14] Internetgericht Hangzhou (杭州互联网法院)Hangzhou Huatai Yimei Culture Media Co., Ltd. v. Shenzhen Daotong Technology Development Co., Ltd. (Urheberrechtsstreit über das Recht der Informationsnetzwerkverbreitung von Werken) [杭州华泰一媒文化传媒有限公司诉深圳市道同科技发展有限公司侵害作品信息网络传播权纠纷案], (2018) Zhe 0192 Min Chu No. 81 [(2018)浙0192民初81号], Urteil vom 27.06.2018.

[15] Qilu Yidian (齐鲁壹点), Sensation! Das erste Urteil, das Blockchain-basierte elektronische Beweise anerkennt, stößt auf Kritik! (重磅!首例采信区块链电子证据判例遭质疑!), 08.07.2018, online unter: https://k.sina.com.cn/article_5328858693_13d9fee45020008t99.html.

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